Entmilitarisierter Volkstrauertag |
Sonntag, den 29. Oktober 2017 um 16:31 Uhr |
Gedenkstunde zum Volkstrauertag in entmilitarisierter FormBeim entmilitarisierten Volkstrauertag wies Mathias Kohler auf die Millionen von Kriegstote hin. Er ging in seiner Rede (s. u.) auch auf aktuelle Kriege ein, in die Deutschland durch Waffenlieferungen versteckt oder offen verwickelt ist. Er unterstrich die Bedeutung der Kriegsdienstverweigerung und forderte sie als Asylgrund anzuerkennen.
In der Begrüßung durch Miriam Walkowiak (DGB Nordbaden) sprach die Stadträtin Marianne Bade (SPD) ein Grußwort für die Stadt Mannheim. Danach erinnerte Stefan Fulst-Blei (SPD-MdL) daran, dass es bereits 1992 in Mannheim rassistische und rechtsradikale Ausschreitungen gegen Flüchtlinge gegeben hat und in Mölln und Solingen Menschen aufgrund rassistischer Gewalt getötet wurden. Die Verrohungstendenzen im politischen Diskurs bildeten den Humus, der Rassismus und rechte Gesinnung gedeihen ließen. Auf aktuelle Kriege und ihre Opfer ging Fulst-Blei nicht ein. Die Diesterweg-Schule auf dem Lindenhof dürfte vielen ein Begriff sein, dass dort französische Zwangsarbeiter untergebracht waren, ist wahrscheinlich den wenigsten bekannt. Sie gehörten zu jenen 1700 Zwangsarbeitern, die vom NS-Regime 1944 nach Mannheim deportiert worden waren, wie Peter Koppenhöfer (Verein KZ-Gedenkstätte Sandhofen) deutlich machte. Einer der gegen das NS-Regime Widerstand geleistet hatte, war der Mannheimer Kommunist Friedrich Dürr, dessen Biografie Tatjana Münster (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der AntifaschistiInnen, VVN-BdA) darstellte. Die Nazis hatten ihn im KZ Dachau eingesperrt und nach einem gescheiterten Aufstandim KZ kurz vor Kriegsende hingerichtet. "Ich will nicht töten. Ich will leben" Flucht vor Krieg und VerfolgungSo ist die Rede von Mathias Kohler überschrieben, die hier im Wortlaut wiedergegeben ist. Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freude, wir befinden uns hier am Ehrendenkmal aus Granit, das an die Gefallenen der beiden Weltkriege erinnern soll und das die Sockelinschrift „DER TOD VERSÖHNT“ trägt. Dieser Satz des Dichters Christoph August Tiedge heißt vollständig: „Nur das Leben hasst, der Tod versöhnt.“ Er hatte das Gedicht nach dem Besuch des Schlachtfeldes bei Kunersdorf geschrieben. Auf den Kriegsgräberfeldern des Mannheimer Hauptfriedhofes liegen 1.911 Gefallene des Ersten und des Zweiten Weltkriegs. Allein im Ersten Weltkrieg verloren 6.239 Soldaten aus Mannheim ihr Leben. Im Zweiten Weltkrieg waren es schätzungsweise 10.000 Gefallene. Diese jungen Menschen sind in sinnlosen, grausamen und verbrecherischen Kriegen gestorben. Sie wurden von den damals Herrschenden missbraucht und ihr Sterben war schrecklich, brutal und alles andere als eine Ehre. Das Feld der Ehre ist in Wahrheit das Feld des Elends und des Todes. Wenn wir diesen vielen namenlosen Kriegsopfern der beiden Weltkriege gedenken, dann müssen wir ihnen wieder einen Namen und ein Gesicht geben und wir müssen auch über den Schmerz und über die trauerden Angehörigen sprechen. Wenn wir den Gefallenen gedenken, dann müssen wir aber auch darüber sprechen, welche Mahnungen und Verantwortungen sich für die heutige Zeit, d.h. für uns alle ergeben. Im 20. Jahrhundert starben weltweit circa 100 bis 185 Millionen Menschen durch Kriege. Es sind nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges weltweit mindestens 25 Millionen Menschen durch Kriege gestorben. Im Moment finden auf unserer Erde etwa 15 Kriege und kriegerische Konflikte statt. Deutschland ist bei einigen dieser Kriege und kriegerischen Konflikte teilweise versteckt oder auch offen involviert. Saudi-Arabien, das einen brutalen massenvernichtenden Krieg im Jemen führt, wird mit deutschen Waffen gefüttert. Die Türkei, die im eigenen Land und in der Region Kriege führt, erhält deutsche Waffenlieferung. In Mexiko wird der totbringende Drogenkrieg mit deutschen Gewehren geführt. Der brutale und nicht enden wollende Bürgerkrieg in Syrien wird ebenso mit deutschen Waffen geführt: das G36-Gewehr und andere Heckler & Koch-Waffen werden in Saudi-Arabien in Lizenz produziert. Diese Waffen tauchen auch in Syrien auf. Syrien wurde in den 1970er Jahren von Frankreich mit den deutsch-französischen MILAN-Raketen beliefert. Im syrischen Bürgerkrieg, der seit 2011 tobt, haben Saudi-Arabien und Katar im Juni 2013 bestätigt, Raketen vom Typ MILAN an die Aufständischen geliefert zu haben. Menschen, die aus Syrien flüchten, weil sie weder dem verbrecherischen Assad-Regime noch den Terror-Banden des IS dienen wollen, wird das Recht auf Asyl verweigert. Das nordrhein-westfälische Oberverwaltungsgericht in Münster hob eine Entscheidung der Vorinstanz auf, einem 20-jährigen Mann, der aus Syrien geflohen war - um nicht als Soldat des Assad-Regimes eingezogen zu werden - als Flüchtling nach der Genfer Konvention anzuerkennen. Es läge nach Meinung des OVG für jedermann auf der Hand, dass eine Wehrdienstentziehung "regelmäßig nichts mit politischer Opposition zum syrischen Regime" zu tun habe, sondern "allein mit - verständlicher - Furcht vor einem Kriegseinsatz". Diese Furcht sei ein weit verbreitetes, kulturübergreifendes Phänomen. Diesen Zynismus kann man nur noch als menschenverachtend bezeichnen. Versöhnt auch hier zum Schluss nur noch der Tod des 20-jährigen? Das deutsche Asylrecht kennt unterschiedliche Kategorien von Flüchtlingen. Asyl nach Artikel 16a Grundgesetz erhält, wer nachweisen kann, dass er aus politischen, religiösen oder sonstigen persönlichen Gründen in seinem Heimatland staatlich verfolgt wird. Kriege oder Bürgerkriege bzw. Kriegsdienstverweigerung sind kein Asylgrund. Es ist längst überfällig, Kriegsdienstverweigerung als Menschenrecht anzuerkennen und nicht als „kulturübergreifendes Phänomen“ zu desavouieren. Zu der Anerkennung des Menschenrechtes auf Kriegsdienstverweigerung gehört auch, dass unser Land den Menschen, denen diese Anerkennung in ihrer Heimat verwehrt wird, Asyl gewährt. André Shepherd war Soldat bei der US-Army und als Deserteur nach Deutschland geflohen. Er hatte geltend gemacht, dass er dem Einsatzbefehl in den Irak nicht nachgekommen sei, da er den Irakeinsatz der USA für völkerrechtswidrig halte und nicht in Kriegsverbrechen verwickelt werden wolle. Sein Asylantrag wurde abgelehnt. Deswegen war es ein wichtiges Zeichen, dass auf dem Neugebiet der ehemaligen US-Turley-Kaserne im Mai dieses Jahres ein Weg nach ihm benannt wurde. Im Artikel 3 der Allgemeine Erklärung der Menschenrechte steht: „Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.“ Zu diesem Menschenrecht muss das Recht gehören, sich dem Töten von Menschen zu widersetzen. Und wem dieses Menschenrecht verweigert wird, dem muss weltweit Schutz gewährt werden. Das ist eine der Mahnungen und der Aufgaben für uns, die sich aus dem Gedenken an die Gefallenen der beiden Weltkriege ergeben. Der Schwur von Buchenwald „Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!“ hat gerade an diesem Gedenkort eine besondere Bedeutung und Verantwortung für die heutigen und die künftigen Generationen.
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